Schallplatten von Jimi Hendrix, den Rolling Stones oder The Who transportierten um 1970 das neue Lebensgefühl (Originale in Privatbesitz).

Musikverrückte Teens

Soul, Beat und Rock verändern eine Generation

„Hämmernder Rhythmus knallt aus dem Lautsprecher: Soul! Kehlige Stimmen dröhnen durch den Raum: Soul! Pärchen tanzen verzückt – versunken nach einer aufpeitschenden Musik: Soul! Das ist so in München, in Hamburg, in Berlin und in Lemgo/Westfalen. Hätte ein Disk-jockey in einem Tanzschuppen die merkwürdige Idee, keine Soul-Platten zu spielen, er würde glatt gelyncht werden. Fazit: Deutschlands Teens sind soulverrückt. Jedenfalls abends in den Diskotheken. Warum? Soul fühlt man, Soul tanzt man, Soul lebt man“ (BRAVO Nr. 7, 12.2.1968: 16).

Dass unser Ausstellungsort Lemgo in diesem Zitat der Jugendzeitschrift BRAVO als Beispiel für die Provinz herhalten muss, spornt uns umso mehr an, gerade diese näher in Augenschein zu nehmen. In Hinblick auf die Ausbreitung eines neuen Musikgenres scheint man hier um 1968 jedenfalls durchaus am Puls der Zeit gewesen zu sein. Allgemein spielte Musik in den 1960er und 70er-Jahren eine wichtige Rolle im Leben von Jugendlichen, wie aus verschiedenen Gesprächen mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen hervorging, die wir bereits im Rahmen unseres Ausstellungsprojekts geführt haben. Inspiriert durch die neuen Musikstile schufen sie sich ihre eigene Welt mit ihren eigenen Idolen und idealisierten Verhaltensweisen, was bei vielen Erziehungsberechtigten jedoch harsche Kritik hervorrief: Deren Reaktionen waren es auch, die dazu führten, dass sich die Rock-, Soul- und Beatmusik zu einem Zeichen der rebellischen Jugend entwickelte. Als besonders provokant empfand man auch das Erscheinungsbild der sogenannten „Beatniks“: ihre langen Haare und ihre Kleidung galten vielen Erwachsenen als unordentlich und ungepflegt. Neben den Beatles und den Rolling Stones waren es vor allem auch Musiker wie Bob Dylan oder Jimi Hendrix, die wegen ihrer tiefgründigen Song-Texte, ihrer äußeren Erscheinung und ihres Lebensstils das Leben, Denken und Handeln junger Menschen prägten.

Die hier beschriebene Popularität verschiedener Musikgenres in den 60er und 70er Jahren ist unter anderem auf den zunehmenden wirtschaftlichen Wohlstand zurückzuführen, der es Jugendlichen ermöglichte, ihr Geld in Unterhaltungselektronik, Musikzeitschriften sowie Bekleidung und Schallplatten zu investierten. Einige dieser Dinge werden von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen seit fast 50 Jahren aufbewahrt, weshalb wir die Möglichkeit haben, diese in unserer Ausstellung präsentieren zu können. Darunter befinden sich neben einem Tonbandgerät auch Schallplatten von Jimi Hendrix, den Rolling Stones und The Who. Allein die Aufbewahrungsdauer dieser Gegenstände durch die Akteure und Akteurinnen zeigt, wie wichtig Musik für diese in der damaligen Zeit war. Da die Songs oft von Freiheit, Gleichheit, Sexualität oder Drogen handelten, kann schon allein das Hören und Sprechen über Musik als eine Form des Protestes gesehen werden, mit dem sich Jugendliche in den 1968er Jahren (mehr als) gegen das Wertesystem der Gesellschaft stellten.

Tamara Seifried