Kopfnoten sind keine Randnotiz, sondern wurden von Lehrern und Eltern in den 1960er Jahren sehr ernst genommen (Foto: Zeitzeugin).

Kopfnoten

Erzieherisches Mittel oder Einübung von Sekundärtugenden

Zeugnis ist nicht gleich Zeugnis – dies wurde in NRW vor wenigen Jahren an der Auseinandersetzung um die sogenannten Kopfnoten deutlich, die 2007 von der schwarz-gelben Landesregierung eingeführt und am 15.12.2010  durch die rot-grüne Landesregierung wieder abgeschafft worden waren. Unter Kopfnoten ist die Benotung des Arbeits- und Sozialverhaltens der Schülerinnen und Schüler zu verstehen. Die Kopfnoten waren an einer gesonderten Stelle – nämlich ganz oben – auf den Zeugnissen platziert. Bis Ende der 1960er Jahre waren sie in dieser zentralen Position auf den Schulzeugnissen in NRW noch selbstverständlich – erst in der Mitte der 1970er Jahre wurden sie abgeschafft. Grundsätzlich stellten sie ein pädagogisches Mittel dar, das über die Bewertung von  Leistungen jenseits des fachlich-inhaltlichen Wissenserwerbs erzieherisch wirksam werden sollte.

Die Führung, die Beteiligung am Unterricht und die Ordnung der Schülerinnen und Schüler wurden mit Zeugnisnoten, von sehr gut bis ungenügend, bewertet. Die Auswahl der zu benotenden Verhaltensweisen erscheint dabei höchst willkürlich. Schulpolitisches oder soziales Engagement oder die (Selbst)Verantwortung einer Schülerin oder eines Schülers fanden beispielsweise keine Berücksichtigung.  

Die Kopfnoten fielen allein schon durch die Platzierung ganz oben auf dem Zeugnis bei der Betrachtung des Zeugnisses direkt ins Auge. Sie waren für potentielle Arbeitgeber und die Eltern bei Leibe keine Randnotiz, wie unsere Zeitzeugen bestätigten. Eine Zeitzeugin berichtet: „Ich weiß aber auch, dass gerade [...] diese sehr auf Sekundär-Tugenden gehenden, diese ersten drei Sachen, die waren zu Hause sehr wichtig. Wenn da gestanden hätte, häuslicher Fleiß ausreichend, dann hätte ich aber die Hucke vollgekriegt, so im Sinne von, oh, dich schicken wir nicht hin.“ Auch andere Zeitzeugen schildern in Erzählungen über ihre Schulzeit in den 1960er Jahren, dass gute Kopfnoten für die Eltern wichtig waren. Ansonsten hätte es Ärger gegeben. Dabei gefährdeten die Kopfnoten nicht die Versetzung der Schülerinnen und Schüler, sondern waren nur ein erzieherisches Mittel, dessen Wirksamkeit gegen Ende der 1960er Jahre in Pädagogenkreisen längst angezweifelt wurde. Die Frage war, welche erzieherischen Ziele über die Bewertung von Fleiß, Benehmen und Ordnung  überhaupt erreichen werden konnte: War es möglich eigenverantwortliche und kritische Bürger für die Demokratie herauszubilden, indem in der Schule von den Lehrerinnen und Lehrern auf solche Sekundärtugenden gepocht wurde? Die Abschaffung der Kopfnoten in der Mitte der 1970er Jahren sollte diese Frage beantworten, doch gab es in den Jahren darauf immer wieder Pläne die sogenannten Kopfnoten wiedereinzuführen, wie es von 2007 bis 2010 in NRW der Fall war. Ein höchst aktuelles Thema also!

Julia Möhlmann