Disco, Partykeller, Marktplatz und Co.
Jugendliche forderten Frei-Räume
Schülerinnen und Schüler definieren sich über die Schule, sie verbringen aber nur einen Teil des Tages in der Bildungsanstalt. Insofern ist es folgerichtig einmal nachzufragen, wo sich die Jugendlichen außerhalb der Schule getroffen, was sie dort gemacht haben und was diese Orte so besonders machte.
Eine unserer Zeitzeuginnen berichtete über die sehr beschränkten Freizeitmöglichkeiten in der Provinz: „Bei uns im Dorf gab`s so eine Jugendgruppe, die kirchlich organisiert war. Da traf man sich dann, um, was weiß ich, Musik zu hören, dabei zu kickern, einfach um eine Möglichkeit zu haben, gemeinsam mit anderen älteren Kindern was zu machen. Dann gab`s einmal im Monat so eine Jugenddisco im Pfarrheim, wo dann der Pastor natürlich dabei war und um neun war Schluss. Und wehe, einer ging vor die Tür!“
Das hier beschriebene Freizeitangebot mutet sehr begrenzt an. Außerhalb des kirchlichen Rahmens scheint es keine Angebote oder Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung gegeben zu haben. Das entsprach alles in allem überhaupt nicht dem, was sich die Heranwachsenden seit Ende der 60er-Jahre wünschten. Sie wollten „Freizeit ohne Kontrollen“ – so auch der Titel einer Publikation von David Templin, in der es um die Jugendzentrumsbewegung in den 1970er-Jahren geht.
Angesichts der Halbstarkenkrawalle in den 1950er-Jahren hatten Pädagogen und Soziologen bereits Angebote zur „sinnvollen Freizeitgestaltung“ für Jugendliche gefordert. Trotzdem waren nicht nur in der Provinz institutionalisierte, nicht-kirchliche Freizeitangebote für Jugendliche auch in den 1960er-Jahren noch vergleichsweise selten. Eine Alternative, die freilich ein tolerantes Elternhaus voraussetzte, bot sich in Form von privaten Treffs, wie unsere Zeitzeugin bestätigte: „Bis dann irgendwann einmal ein Junge die Erlaubnis von seinen Eltern hatte, unten im Keller so einen Raum einzurichten, und da haben wir uns dann immer nachmittags getroffen und Musik gehört. So mit bunten Eierkartons unter der Decke, die dann bunt angemalt waren, und so bunten Spotlights.“
Im Grunde ging es um einen Ort, an dem man Musik hören, herumhängen, vielleicht ein bisschen knutschen und miteinander quatschen konnte. Das konnten auch ein Café, eine Kneipe oder – wie in Münster – ein innerstädtischer Platz sein: „Am Lambertibrunnen versammelten sich immer samstags um zwölf Uhr die Oberschüler der Stadt“, erzählte uns ein Zeitzeuge. Seitens der Stadtgesellschaft stieß die Okkupation dieses öffentlichen Platzes durch die Heranwachsenden allerdings nicht auf ungeteilte Zustimmung. Das Herumlungern der „langhaarigen Affen“ sah so mancher Münsteraner Bürger gar nicht gern und murmelte im Vorübergehen: „Bei Adolf wär das nicht passiert!“.