„Das Gras wächst für alle“ - nur nicht im Dülmener Schlosspark
In den späten 60er Jahren mehrten sich auch von Seiten der Schülerinnen und Schüler politische Forderungen, die durchaus nicht immer an der Schulmauer Halt machten. Die dabei aufgegriffenen Themen zeichneten sich oft durch einen direkten Bezug zur Lebenswelt der Akteurinnen und Akteure aus.
In der Kleinstadt Dülmen erregten unter anderem die umfangreichen Wald- und Parkgebiete, die sich im Privatbesitz des Herzogs von Croÿ befanden, die Gemüter einiger Schülerinnen und Schüler. In der linken Schülerzeitung Raster des Städtischen Gymnasiums wurde 1971 kritisiert, dass der zentral gelegene herzogliche Schlosspark trotz vorangegangener Verhandlungen im Stadtrat nach wie vor für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sei.
Die Berechtigung solch ausgedehnten privaten Grundbesitzes wurde in Frage gestellt und als undemokratisch abgelehnt. Der Herzog selbst wurde für die Raster-Redakteure zum „Feindbild Nr. 1“, wie sich ein Redaktionsmitglied rückblickend erinnert.
Der Schülerzeitungsartikel blieb in der Stadtgesellschaft nicht unbeachtet, sogar die herzogliche Verwaltung antwortete in der Dülmener Zeitung – aber der Park blieb zu. Ganz zu? Nein, zu bestimmten Festtagen wurde er geöffnet. Das sorgte immer für großen Andrang der Stadtbevölkerung, die es sich nicht entgehen ließ, einen Blick auf die andere Seite der Mauer zu werfen.
Beim Osterfeuer 1972 nutzten einige Raster-Redakteure genau diesen Umstand, um ein noch größeres Publikum auf den vermeindlichen Machmißbrauch des Herzogs aufmerksam zu machen. Ein Schülerprotestler berichtet darüber im Interview: „Dann haben wir unter der Kamera des ZDF so 'ne Art Go-In gemacht, wir haben also zwei-drei Transparente gemalt, ‘Das Gras wächst für alle‘ oder ‘Enteignet die Großgrundbesitzer‘. Und ein entsprechendes Flugblatt. (…) Und das hat natürlich unheimlich Aufruhr gegeben.“
Der medienwirksame Schülerprotest, der sich Protestformen der Studentenbewegung (Go- In) zu Eigen machte, wurde zum Dülmener Stadtgespräch. Trotz der großen Öffentlichkeit blieb der Erfolg aber aus, so dass die Raster-Redaktion vier Jahre später ernüchtert feststellen musste, dass nach wie vor keine generelle Öffnung zu erwarten sei.
Vielleicht hätten die jungen Leute der ganzen Sache einfach mehr Zeit geben müssen: Heute ist der Schlosspark zwar teilweise zugebaut, doch sein restliches Gras wächst nun für alle.
Anna Zobel