Klassenbücher stellen eine spannende Quelle für den Schulalltag vergangener Zeiten dar (Foto: H.-Chr. Nahrgang)

Peter stört durch wiederholtes Schwatzen mit seinem Nachbarn den Unterricht.

Klassenbücher erzählen vom Schulalltag

Schülerstreiche gehören zur Schule wie die Klingel, die Lehrer und die Bänke. Der nasse Schwamm auf dem Stuhl des Lehrers, das ein oder andere provozierende Bild an der Tafel oder gar das Einsperren des Lehrers in einen leeren Klassenraum zählen zu den gemeinsamen Erinnerungen, die bei vielen Klassentreffen eine Rolle spielen. Bei allem Unfug gilt und galt es jedoch als oberstes Gebot,  sich nicht erwischen zu lassen! In den 1960er-Jahren gab es an den Schulen teils noch rigide Strafen, die vom Abschreiben der Schulordnung über das Verfassen eines Besinnungsaufsatzes bis hin zu Nachsitzen und  Ohrfeigen oder anderen körperlichen Züchtigungen reichen konnten (die Prügelstrafe wurde in Westdeutschland erst 1972 offiziell abgeschafft). Im Zentrum des schulischen Strafkatalogs stand das Klassenbuch, ließen sich in ihm die Verfehlungen der aufmüpfigen Schülerinnen und Schüler doch minutiös festhalten.  

Grundsätzlich hat das Klassenbuch zwei Funktionen: die Anwesenheitskontrolle und die Eintragung der täglichen Unterrichtsarbeit. Neben diesem eher informierenden Zweck wurde  das Klassenbuch auch als pädagogisches Mittel zur Ermahnung und Bestrafung der Schülerinnen und Schüler eingesetzt. „Einträge ins Klassenbuch“ konnten die  Versetzung gefährden oder zu einem Verweis führen. Deshalb waren sie von den Schülerinnen und Schülern durchaus gefürchtet. Bei drei Einträgen gab es einen Tadel oder auch „eine Rüge“. Drei Tadel innerhalb eines Schuljahres konnten einen Schulverweis zur Folge haben. Kein Wunder, dass manches Mal das Verschwinden-lassen des Klassenbuches die ultima ratio darstellte, die den oder die Klassenbuchführerin dann in arge Bedrängnis brachte.  

Bei schweren Vergehen war je nach Schulordnung  auch ein sofortiger Schulverweis möglich. Eine Zeitzeugin erinnert sich, wie ihre Mitschülerin beim Rauchen auf der Klassenfahrt erwischt und sodann von der Direktorin des Mädchengymnasiums verwiesen wurde. Zeitzeugin S.: „Da ist sie aber hart geblieben“, und das, obwohl die Mitschülerinnen die Direktorin beknieten und ihr versprachen, sich um das Mädchen zu kümmern.

Am Thema „Klassenbuch“ lässt sich auch verdeutlichen, wie unterschiedlich die pädagogischen Konzepte und Sichtweisen der Lehrerinnen und Lehrer gerade in den 1960er-Jahren waren:  Zeitzeuge H. erinnert sich, dass 50 von 60 Eintragungen eines Lehrers nach dessen plötzlichem Tod während des Schuljahres von einem anderen Lehrer gestrichen wurden. H. resümiert: „Da war ich froh, dass das Schwert von mir genommen war“.

Gerade weil sie eine unmittelbare Sicht auf den Schulalltag gewähren, sind Klassenbücher eine enorm spannende Quelle, die jedoch aus datenschutzrechtlichen Gründen erst mit großer zeitlicher Verzögerung genutzt werden kann. Es bleibt zu hoffen, dass die Schulen die alten Klassenbücher nicht entsorgen, sondern ins Archiv geben. Dort können sie künftigen Generationen von Forschern spannende Einblicke ins Schulleben gewähren.  

Reyhan Özdemir