Die ZEIT, 2.4.1965: Über 50 Jahre alter Zeitungsausschnitt erinnert an engagierten Lehrer

50 Jahre lang aufbewahrt.

Mehr-als-dagegen-sein im Spiegel eines Zeitungsausschnitts

Was bedeutet es, mehr als dagegen zu sein?

Es bedeutet in erster Linie, den eigenen Kopf einzuschalten und zu realisieren, was in der Gesellschaft, deren Teil wir sind, nicht stimmt und was jeder Einzelne dagegen tun kann.

Diese Frage spielte auch für einen Teil der  Schülerinnen und Schüler in den 1960er-Jahren eine bedeutende Rolle.

Vielfach waren es die jüngeren Lehrerinnen und Lehrer in den Lehrerkollegien, die die Heranwachsenden an selbstständiges Denken und kritisches Hinterfragen heranführten. Im Fall unseres Zeitzeugen Wolfgang B. war es Hans-Jürgen Rathert, der B. und seine Mitschüler für politische und historische Themen sensibilisierte.

Eins stand für sie fest: Sie waren dagegen. Gegen was? Vor allem dagegen, so weiter zu machen wie bisher.  

„So, und was kommt dann?“ Die Frage stellte sich damals auch Wolfgang B.: „Jetzt konstruktiv was an die Stelle setzen. Das war ganz wichtig für uns“, resümiert der in den 60er- Jahren in Minden aufgewachsene ehemalige Gymnasiast und pensionierte Lehrer.  

Mehr als dagegen zu sein, bedeutete für ihn und seine Mitschüler, den Dingen auf den Grund zu gehen und eine eigene Meinung zu entwickeln. Sie fragten nach den Gründen für die Verdrängung des Nationalsozialismus oder das Wiedererstarken rechtsradikaler politischer Parteien und diskutierten darüber, was man letztendlich dagegen tun könne.

„Wir hatten ja auch noch eine ganz andere Schule kennengelernt, in der Drill und manchmal auch Schläge, vor allem aber ein sehr hierarchisches Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern an der Tagesordnung waren“, erzählt Wolfgang B. „Umso begeisterter waren wir von diesem neuen Lehrer, der täglich unter Beweis stellte, dass es auch anders ging und der uns die Augen für die Welt öffnete.“ 

Wolfgang B. und seine 16 Klassenkameraden folgten ihrem jungen Lehrer zu politischen Veranstaltungen sogar bis nach Ost-Berlin. Oder eben zum Vortrag des NPD-Chefideologen Udo Walendy über die angebliche „Kriegsschuldlüge“ in Minden.

Man wollte sich selbst ein Bild machen. Diskutieren. Mehr als nur dagegen sein.

Der Besuch der Schulklasse bei der NPD-Veranstaltung fiel damals auch einem Journalisten der renommierten Wochenzeitung DIE ZEIT ins Auge, welcher just beschloss, das Engagement des aus der Masse hervorstechenden Geschichtslehrers und SPD-Vertreters Hans-Jürgen Rathert für ein wahrheitsgetreues Geschichtsbild in seinem Artikel zu honorieren. Der Bericht wurde am 2. April 1965 unter dem Titel Wahlkampf mit Hitler. Es begann mit einem Vortrag über die „Kriegsschuldlüge“ veröffentlicht.

Wolfgang B. hat den Artikel über 50 Jahre lang aufbewahrt. Kein Wunder, spiegelt er doch eine prägende Zeit seines Lebens wider und reflektiert den politischen Einsatz seines Mentors, wie er Herrn Rathert noch heute gerne nennt. Für unser Ausstellungsteam ist dieser Zeitungsausschnitt natürlich ein Glücksfall, verbinden sich in ihm doch Zeitzeugenschaft und persönliches Andenken. Dass man auch in der Provinz mehr als dagegen war, wurde durch diesen Zeitungsartikel über die Region hinaus publik gemacht und nicht nur das: zumindest einer der Schüler, die sich seinerzeit wahrscheinlich staunend in einem deutschlandweit vertriebenen Medium wiederfanden, hat diesen Artikel als Beweis aufbewahrt: dafür, dass sich etwas verändert hat – damals!

Von Sina Aulbur